Rückt die Heiligsprechung des berühmtesten Mitglieds der Pfarrei St. Viktor, Anna Katharina Emmerick, in greifbare Nähe? Viele Menschen hoffen das. „Ich bin überzeugt: Anna Katharina ist eine Heilige!“ – so äußert sich Pater Alfred Bell, der für die Vorbereitung der Heiligsprechung beauftragte Vertreter des Bistums Münster. Kriterium einer Heiligsprechung ist nicht zuletzt die nachgewiesene internationale Verehrung eines Glaubenszeugen: Ist eine Seligsprechung von regionaler Bedeutung, so regelt eine Heiligsprechung die weltweite Verehrung eines Menschen, den die Kirche offiziell zum Vorbild für die Menschen und Fürsprecher bei Gott erklärt.
Die weltweite Bekanntheit und auch Verehrung der Anna Katharina Emmerick setzte schon im 19. Jahrhundert durch die rasche Übersetzung und Verbreitung der von Clemens Brentano aufgezeichneten Visionsberichte ein. Ein spektakuläres Ereignis, das für internationales Aufsehen sorgte, war gegen Ende des 19. Jahrhundert ein archäologischer Fund in Kleinasien, im Westen der Türkei: Zwei deutsche Priester des Lazaristen-Ordens hatten sich mit den visionären Schilderungen des Lebens Mariens in der Hand zu einer Expedition zum antiken Ephesus aufgemacht, wo nach Angaben Anna Katharina Emmericks die Gottesmutter Maria an der Seite des Evangelisten Johannes ihre letzten Lebensjahre verbracht habe.
Die Patres untersuchten gemäß den Angaben in den Brentano-Aufzeichnungen die topographischen Gegebenheiten der Gegend, befragten die eingesessene Bevölkerung und entdeckten nicht zuletzt dank des Zufalls an einer verborgenen Wasserstelle die Reste einer frühchristlichen Gebetsstätte. Die aufgefundenen Fundamente und Mauerreste vom „Haus der Maria“ wurden freigelegt und zu einer kleinen massiven Kapelle hochgezogen. Heute ist das Marienheiligtum von Ephesus ein Wallfahrtsort. Prominente Besucher in jüngerer Zeit waren die Päpste Paul VI. (1967), Johannes Paul II. (1979) sowie Benedikt XVI. im Jahre 2006. Die „Dülmener Heimatblätter“ widmeten 1972 der „Kunde aus Ephesus“ einen Artikel, ein umfangreicher Bericht fand sich 2011 in den „Emmerickblättern“.
Wer sich mit Anna Katharina Emmerick als weltweitem Phänomen befasst, der kennt das vertraute Bild vom „Hauses der Maria“ mit der markanten Bruchsteinfassade, den drei Rundbögen und dem knorrigen Baum davor. Und dieses Bild lässt sich auch in Dülmen entdecken! Als Wandmalerei – und dies fast exakt an jener Stelle, an der einst Clemens Brentano am Bett der Seherin seine Aufzeichnungen niederschrieb. Die Rede ist vom Döner-Restaurant an der Nonnengasse in Dülmen, in direkter Nähe zum früheren Kloster Agnetenberg und unweit der einstigen Bürgerhäuser Roters und Limberg, wo Anna Katharina Emmerick nach ihrer Ausweisung aus dem Kloster Agnetenberg ihr Quartier bezog. Hier also, an der Nonnengasse 2, betreibt Mehmed Kabukcu, der mit Frau und zwei Kindern in Dülmen lebt, seit 2004 einen Schnellimbiss. Eingerichtet und ausgestaltet wurde die Räumlichkeit allerdings schon Mitte der 1990er Jahr durch den damaligen Inhaber, einen aus der Türkei eingewanderten Armenier. Armenier sind Christen, und so finden sich unter den insgesamt sieben auf Putz aufgemalten Bildern im Speiseraum nicht nur Szenen aus dem antiken Kleinasien, sondern etwa auch von einer orthodoxen Kirche – und eben auch vom „Haus der Maria“ in Ephesus. Mehmed Kabukcu, geboren 1975 in der Gegend der südtürkischen Stadt Maras, hat damit kein Problem: Er bekennt sich ganz bewusst zu religiöser Toleranz. Und das auch aus eigener leidvoller Erfahrung: Zwar ist seine Familie muslimisch, gehört aber zur Glaubensgemeinschaft der Aleviten, die sich keiner klassischen Moscheegemeinde anschließen und seit jeher vom „offiziellen“ Islam in der Türkei unterdrückt werden. Und: Er ist Kurde – was ebenfalls bis heute zu Repressionen an seiner Volksgruppe in der Türkei führt. Daher kam Kabukcu 1993 als Asylbewerber nach Deutschland, 2001 wurde er eingebürgert. Mehmed Kabukcu hat seine Flucht nach Deutschland nicht bereut. Fremdenfeindlichkeit sei ihm in Dülmen noch nicht begegnet. Sein Restaurant läuft gut: „Wer gute Arbeit leistet, wird auch anerkannt“, meint er. Das derzeitige Flüchtlingsdrama empfindet er als Katastrophe, weniger hierzulande als vor allem weltweit.
Das „Haus der Maria“ setzt vielleicht gerade in diese aufgeheizte Stimmung hinein ein stummes Zeichen, ist doch das Marienheiligtum von Ephesus bis heute eine Pilgerstätte von Orthodoxen, Katholiken – und Muslimen! Insbesondere muslimische Frauen pilgern hierhin, schöpfen aus der dortigen Wasserquelle, hängen ihre niedergeschriebenen Gebetsanliegen auf ausgespannte Schnüre. Der Koran spricht voll Ehrfurcht von Maria. Das Konzilsdekret des Zweiten Vatikanums über die nicht-christlichen Religionen betont ausdrücklich die Marienverehrung der Muslime. In der schon erwähnten Ausgabe der „Emmerickblätter“ (2011/II, S. 20) resümiert der frühere Dülmener Pfarrer Dr. Clemens Engling nach einer Reise zum „Haus der Maria“, hier sei „ein Ort, der aus großer urchristlicher Tradition Christen und Muslime verbinden kann.“
Markus Trautmann